R. Leeb u.a. (Hrsg.): Staatsmacht und Seelenheil

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Titel
Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie


Herausgeber
Leeb, Rudolf; Pils, Claudine; Winkelbauer, Thomas
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 47
Erschienen
Wien 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
420 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Neuhold

Das lesenswerte sowie informative Vorwort der HerausgeberInnen rechtfertigt den heute eher umstrittenen historischen Begriff der «Gegenreformation» mit den speziellen Umständen in den österreichischen Ländern der (frühen) Neuzeit: «Die Beibehaltung des Begriffs hat ihren sachlichen Grund darin, dass in den österreichischen Ländern die politisch-gewaltsame Zerstörung und Beseitigung des bereits über Generationen existierenden evangelischen Kirchenwesens zeitlich vorausging und erst danach die ‹innerkirchliche Nacharbeit› folgte, während der die katholische Reform auf der Ebene der Untertanen erst wirklich Wurzeln schlagen konnte.» (8)

Wichtigen Ereignissen und zentralen Linien im gegenreformatorischen Prozess geht der vorliegende Band unter dem einprägsamen Titel «Staatsmacht und Seelenheil» nach. Er tut dies in acht Abschnitten, die grösstenteils über Kommentare am Schluss eine Art rückblickende Integration erfahren. Dies ist m.E. eine ausgeprägte Stärke des Bandes, auch im Vergleich zu vielen anderen disparaten Sammelbänden, denn so werden thematische Achsen repetitiv zusammengehalten und erfahren Vertiefung. Daneben wird auch das Symposium von 2004, das im Wiener Stadt- und Landesarchiv abgehalten wurde und mit seinen Beiträgen die Grundlage des vorliegenden Bandes liefert, in seiner von mir vermuteten Lebendigkeit und im wissenschaftlichen Austausch festgehalten.

So möchte diese Rezension von den besagten Kommentaren ausgehen, auch weil es viel zu weitläufig wäre, auf all die einzelnen Artikel der über 400 Seiten einzugehen. Gleich zu Beginn findet sich eine Einführung in den Forschungsstand und die verwendete Terminologie, den Robert Bireley mit einem Kommentar versieht: Das politisch-religiöse Programm der Gegenreformation fasst er im Rahmen eines «Frühmodernen Katholizismus» (O’Malley) folgendermassen zusammen: «Äußere Observanz war besser als keine Observanz, und auf Dauer führen äußere Übungen zu den betreffenden inneren Haltungen. Das war ein Grundsatz katholischer Psychologie.» (40) Der Jesuit und Historiker der Loyola University Chicago meint, dass sich die damit einhergehende «enge Verbindung zwischen Staat und Kirche [...] auf lange Sicht nicht positiv für die Kirche ausgewirkt hat; sie hat sicher zum Antiklerikalismus des 19. Jahrhunderts in der Habsburgermonarchie und darüber hinaus beigetragen.» (42) Ob die kommentierende Zusammenschau von Karl Vocelka in diesem Band dafür ein Beleg ist, kann ich nicht beurteilen – ich werde noch darauf zurückkommen.

Der Kommentar von István György Tóth, der 2005 verstorben ist, beschliesst den 2. Block, der (eher unspezifisch) mit «Kommunikation der Gegenreformation» betitelt ist. Er zeichnet die Effektivität und Professionalität des frühmodernen Staates im Vergleich zum Mittelalter nach, geht auf das Nuntiaturwesen im Habsburgerreich ein – hier liessen sich wohl auch Parallelen zur «Reformnuntiatur» in Luzern (seit 1586) ziehen – und verweist auf die kulturelle Enge der Gegenreformation, die sich auch in der Zerstörung von Bildern und Büchern äusserte. Tóth schreibt: «Wir kennen die detaillierten Instruktionen der päpstlichen Visitatoren, sie sollten die Bücher der Ketzer einsammeln und beschlagnahmen. Es ist m.E. sehr charakteristisch für die zwei Seiten der Gegenreformation – Seelenheil und Staatsgewalt –, dass den Instruktionen nach nicht alle beschlagnahmten Exemplare vernichtet werden mussten. Je ein Exemplar dieser gefährlichen Werke der Ketzer mussten die Visitatoren nach Rom schicken, pro refutatione, ‹zur Widerlegung›. Man erkennt in diesen Instruktionen die typische Mentalität der Gegenreformation. Wenn ihn die Jesuitenprofessoren im Collegium Romanum, an der Jesuitenuniversität in Rom, einmal offiziell widerlegt hatten, dann war ein Text tot, dann musste der Feind mit einem anderen Text kommen. Deswegen mussten die Missionare je ein Buch nach Rom schicken, die anderen aber waren zu verbrennen. An einer eventuellen kulturellen Bedeutung der Werke des Gegners waren weder Katholiken noch Protestanten interessiert.» (71) Tóth weist jedoch auch auf die «Überschätzung» der Jesuiten hin, der sie selbst Vorschub geleistet haben und die bis heute nachwirkt, wenn ForscherInnen sich eher mit Jesuitica denn mit Angelegenheiten der Kapuziner oder Piaristen dieser Zeit beschäftigen.

Den dritten Block beschliesst, wie schon kurz angedeutet, der damalige Vorsitzende des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Karl Vocelka. Sein Kommentar zum Abschnitt «Frömmigkeitsformen und Wunderglaube» beginnt mit einer grundlegenden Bemerkung in Fragen des «Vorverständnisses»: «Im Zentrum aller Manifestationen katholischer Frömmigkeit standen und stehen Glaubensvorstellungen, die Wunderbares und Übernatürliches voraussetzen und einbeziehen, ohne deren stillschweigende Akzeptanz – was nicht nur Protestanten [...], sondern auch besonders Menschen wie mir, die sich als Atheisten bekennen, schwer fällt – ein Verständnis für die Phänomene, die sich in den Quellen manifestieren, nicht möglich ist.» (134; Hervorhebung DN) Ein wenig später spricht er von der «Geldgier einzelner Geistlicher», von «Frömmigkeitsformen», die «nicht autonom und eruptiv», sondern «gelenkt, gesteuert und geleitet» waren (und sind?) – dasselbe gilt für Vocelka für die Wallfahrtsorte. Dies mag stimmen, in Geschichte und Gegenwart, wenn es m.E. auch nicht die ganze Komplexität religiös-kultureller Phänomene zu umschreiben vermag. Aber mit dem Satz «Auch in der gesamten theologischen Tradition der katholischen Kirche spielte und spielt der Glaube an Wunder eine hervorragende Rolle, auch heute noch gehören zu jeder Seligsprechung ‹erwiesene Wunder›, wie der Fall der Krampfadern einer Nonne in Südamerika bei der kürzlich erfolgten Seligsprechung Kaiser Karls zeigte.» (136; Hervorhebung DN), mit dieser Aussage also verlässt der renommierte Autor in bestimmter Weise den Boden der historischen Forschung. Abgesehen davon, dass nach katholischer Lehre nicht zu jeder Seligsprechung ein erwiesenes Wunder gehört – siehe dazu das jüngst als Martyrium anerkannte Handeln des Kriegsdienstverweigerers Jägerstätter 1943 –, stellt sich die Frage, ob eine solche Skizze dem Katholizismus gerecht wird, wie dem Phänomen und dem Anspruch der Religion(en) überhaupt. Hier darf man religionspolitisch schon gespannt sein, wie in Österreich, das neuesten religionssoziologischen Erhebungen zufolge einen hohen (und immer höheren) Anteil «überzeugter» Atheisten (im obigen Zitat war ja von «Bekenntnis» die Rede) aufweist, einem sich verfestigenden religiösen Pluralismus begegnen wird – ganz abgesehen davon, dass meiner Erfahrung nach viele Menschen, die sich von ihren christlichen Wurzeln emanzipiert haben, viel eher an Wunder glauben, als dies viele KatholikInnen tun. Trotz alledem will ich den Wert, der in einer solchen Analyse des «Unverständnisses» steckt, nicht gering schätzen – Gaudium et Spes erinnert in Art. 44 im letzten Satz daran.

Doch weiter zum nächsten Kommentar, den der Germanist Werner Wilhelm Schnabel zum Themenfeld der «Emigration» bereitstellt. Schnabel verweist darauf, dass das Thema der Konfessionsmigration über eine lange, nicht «unproblematische Tradition» (263) verfüge, nicht zuletzt, weil die so genannten «push-Faktoren» sehr zentral im Blickfeld standen und der Akzent zu sehr auf die religiös-kirchliche Seite gelegt wurde – wirtschafts- und sozialhistorische Fragestellungen sind zunehmend wichtiger, wenn freilich auch «der zentrale Stellenwert des Glaubens in der Untersuchungszeit [...] nicht aus den Augen» verloren werden sollte (269). Dieser kommt z.B. in den biblischen Deutungsbezügen der Exulanten zum Ausdruck. Mit Stephan Steiner und Rudolf Leeb melden sich in diesem Abschnitt zwei Beiträger zu Wort, auf die es sich lohnt, etwas näher einzugehen. Der Kirchenhistoriker Leeb setzt sich mit «Widerstand und leidendem Ungehorsam gegen die katholische Konfessionalisierung in den österreichischen Ländern» auseinander (184–201). Leeb plädiert dafür, im Gegensatz zur älteren Forschung, die von «leidendem Gehorsam» sprach, von «leidendem Ungehorsam» zu sprechen, nicht zuletzt weil (vor allem über die «Flacianer») Widerstandstheorien bereit standen – man muss Gott mehr gehorchen, als dem Menschen (Apg 5,29; 193/195). Zudem wurde über weite Strecken auf Gewalt verzichtet, was aber nicht Gehorsam bedeutet. Steiner wiederum präsentiert in seinem in dieser Zeitschrift bereits vorexerzierten gediegenen historiografischen sowie literarischen Stil (siehe SZRKG 102 [2008] 60–79) eine Mikrostudie zu einer «vergessenen Massenflucht» aus dem kärtnerischen Paternion – worin er darauf hinweist, dass die in barocker euphemistischer Weise als «Transmigrationen» bezeichneten Ausweisungen als «Geburtsstunden der neuzeitlichen Deportationen in Mitteleuropa» anzusehen sind (203). Steiner zeigt mit einer an Christina Pataki, die 1734 (also nach der Salzburger Emigration von 1731 unter Erzbischof Firmian) deportiert wird und verzweifelt versucht, wieder zurück in die Heimat zu kommen, orientierten case-study den beinharten Absolutismus eines Staates auf, der selbst vor militärischer Gewalt nicht zurückschreckt: «Jegliche Alternative zu den Absichten des Souveräns soll damit [mit der Deportation, DN] verschwinden.» (209) Steiner beschreibt anschaulich die Folgen der Massendeportation: «Nicht nur die verschickten Untertanen belasten den bürokratischen Apparat aufs Äußerste, sondern auch die zurückbehaltenen Kinder, künstlich geschaffene Waisen, deren Zahl dreistellig ist und deren Unterbringung und Verpflegung organisiert werden will.» (206) Der Praxis der Kinderwegnahme, der so genannten «Kinder-Abpracticierung» widmet Ute Küppers-Braun einen eigenen Beitrag im vorliegenden Band: «Hier sollte die protestantische Identifikation der Generationenfolge gekappt werden, denn wer die Kinder hatte, hatte Hoffnung auf die Zukunft», so Küppers-Braun in ihrem vorläufigen Fazit (228). Für die Schweiz kennen wir aus jener Zeit ähnliche Fälle staatlich-konfessioneller Intoleranz, es sei nur an den Monsterprozess gegen Jakob Schmidlin und seine Konsorten in Luzern zur Mitte des 18. Jahrhunderts erinnert.

Der nun folgende perspektivische Schwerpunkt des Bandes fällt auf das «urbane Österreich », im Abschnitt «Städte und Gegenreformation», z.B. über die Vergleichsbeispiele der landesfürstlichen Städte Krems, Linz und Steyr, die alle «einen Großteil ihrer Bevölkerung, vor allem der wohlhabenden Schichten, als Auswirkung der Gegenreformation verloren.» (Andrea Pühringer, 291) und später Niederlassungen der Jesuiten beherbergten (296; 299; 302). Den Kommentar zu diesem Abschnitt verfasste Herbert Knittler vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Wien: «Verglichen mit den stark urbanisierten Regionen der Niederlande, aber auch den im 16. Jahrhundert äußerst aktiven Städtelandschaften des deutschen Südens, stellte die österreichische Stadt ein relativ bescheidenes Phänomen dar.» (340) Die städtische Selbstregierung ging in vielen Fällen eine enge Allianz mit dem neuen Glauben ein, bis schliesslich in der Mitte des 17. Jahrhunderts katholische «Reformationskommissionen» errichtet wurden, und somit ein «System der religiösen Kontrolle» geschaffen wurde, «das kaum mehr Nischen für Evangelische offen ließ.» (342)

Die anschliessenden «Regionalvergleiche» (Ungarn, Böhmen, Steiermark und Niederösterreich) sowie ein etwas abseits liegender, aber kompakter Blick ins Frankreich des 17. Jahrhunderts und seiner Variante der «Gegenreformation» durch Martin Dinges (396–406) runden den Band ab.

Eine Randnote: Als Band 51 der Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung erscheint – auch von Rudolf Leeb mitherausgegeben – in diesem Jahr «Geheimprotestantismus und Evangelische Kirche», der wohl eine gute Ergänzung bzw. eine Vertiefung zum hier zu besprechenden Band liefert. Ganz zum Schluss sei noch kurz auf das Titelbild hingewiesen, das Ferdinand II. als miles Christi (vgl. zu ihm 195) auf dem Hochaltarbild der Grazer Kapuzinerkirche (1602) zeigt, worauf der Habsburger auf die geöffnete Bibel im Schosse des Kirchenvaters Hieronymus zeigt. Dtn 17,12 ist dort vermerkt («Ein Mann aber, der so vermessen ist, auf den Priester, der dort steht, um vor dem Herrn, deinem Gott, Dienst zu tun, oder auf den Richter nicht zu hören, dieser Mann soll sterben. Du sollst das Böse aus Israel wegschaffen.»), als Drohung an die Protestanten, wie es im Kommentar des Umschlagbildes heisst. Selten, dass ein einzelnes Bild so glücklich den Inhalt eines umfangreichen und formal hochwertigen Bandes zumindest in einer gewissen Weise zum Ausdruck zu bringen vermag.

Zitierweise:
David Neuhold: Rezension zu: Rudolf Leeb/Susanne Claudine Pils/Thomas Winkelbauer (Hg.), Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie (=Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 47), Wien, Oldenburg, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 321-324.

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